Bericht von 4. Ver.di-Bundeskongress in Leipzig von Heiderose Gläß
1009 Delegierte, viele Beraterinnen und Gäste trafen sich von 20. bis 26. September in Leipzig zum 4. Bundeskongress der Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Auch wenn die Kanzlerin Angela Merkel, die an der Eröffnung des Kongresses teilnahm, mit freundlichen Gesten empfangen wurde, sie in ihrer Rede ver.di als starken und verlässlichen Partner hervorhob, der große Verdienste daran hat, dass es in Deutschland seit Jahresbeginn einen gesetzlichen Mindestlohn gibt, gab es deutliche Proteste, als diese für TTIP und CETA warb. Der Bundesvorsitzende Frank Bsirske lobte das besonnene und auch kompromissbereite Agieren der Kanzlerin und verabschiedete diese recht freundlich.
Die Wiederkandidatur des Vorsitzenden, der die zweitgrößte deutsche Gewerkschaft (derzeit 2 Millionen Mitglieder) seit ihrer Gründung führt, war umstritten. Die Gewerkschaften lehnen die Rente mit 67 grundsätzlich, aber Bsirske wird in zwei Jahren 65, wird also am Ende der vierjährigen Amtszeit mit dem Alter in Rente gehen, das er mit „seiner“ Gewerkschaft kritisiert. Auch das nicht immer auf den ersten Blick glückliche Agieren von ver.di beim Post- und Kita-Streik stand in der Kritik bei der Aussprache zur Rechenschaftlegung vom Vorstand und Gewerkschaftsrat.
In einer sehr kämpferischen Rede ging am Dienstag, der mit 88,5 Prozent wiedergewählte „alte/neue“ Vorsitzende auf viele Probleme der Zeit ein und orientierte auf die Aufgaben der Gewerkschaft ver.di in den nächsten vier Jahren. Diese wurden durch viele Anträge (insgesamt über 1.400) untersetzt und konkretisiert, die umfangreich und sachkundig diskutiert, teilweise verändert und dann verabschiedet wurden.
Breiten Raum nahm während des Kongresses die Diskussion zur sogenannten Arbeitswelt 4.0, also der Digitalisierung der Arbeitswelt, ein. Bsirske berief sich in seiner Rede auf Studien, die voraussagen, dass durch die Roboterisierung ganzer Berufe millionenfache Arbeitslosigkeit drohe, die abgewehrt werden muss. Prognosen sagen voraus, dass in den nächsten Jahrzehnten 18 Millionen Jobs – 59 Prozent aller Arbeitsplätze – durch den Einsatz von Robotern gefährdet sind. Insbesondere Büro- besonders Bankangestellte, Hilfskräfte in Post und Zustelldiensten, Lagerarbeiter, VerkäuferInnen, Hilfskräfte in der Reinigung sowie Servicekräfte in Gastronomie sind gefährdet, um nur einige zu nennen, die durch die Dienstleistungsgewerkschaft vertreten werden. Die gewaltigen Zugewinne an Produktivität und Reichtum, die mit dieser Entwicklung einhergehen, müssen zur Förderung gesellschaftlich sinnvoller Dienstleistungen, z.B. im sozialen und Umweltbereich genutzt werden. Ebenso gilt es, die wachsende Produktivität, also Produktivitätsschübe, für eine deutliche Verkürzung der Arbeitszeit zu nutzen, um diese auch den abhängig Beschäftigten zugutekommen zu lassen und Arbeitslosigkeit entgegenzuwirken.
Deutlich sprachen die ver.di-Delegierten für eine schrittweise Anhebung des Mindestlohnes auf 10 Euro aus, also eine Übernahme der schon seit längerer Zeit von der LINKEN geforderten Höhe.
Eine Kampagne gegen Altersarmut soll in den nächsten Jahren im Mittelpunkt des ver.di-Kampfes stehen. Bsirske betonte, dass „eine massenhafte Altersarmut durch mehrfach gekürzte Renten“ drohe. Jede/-r dritte Vollzeitbeschäftigte ist bei dem aktuellen Rentenniveau von 48 Prozent des letzten Bruttoverdienstes betroffen, und dieses soll auf 43 Prozent sinken.
Höhepunkte des ver.di-Kongresses waren unteranderem der Einzug von über 100 streikenden „Amazonern“, die sich für die monatelange und aktuelle Unterstützung der Gewerkschaft bei ihren Streikaktionen bedankten, oder auch die Grußworte von internationalen GewerkschaftsvertreterInnen aus Österreich, Großbritannien oder Kolumbien. Interessant waren der Parteien-Talk, bei dem Bernd Riexinger als Vertreter der LINKEN den meisten Beifall erhielt, und der Parlamentarische Abend, bei denen Bundestagsabgeordnete aller Parteien mit den Delegierten ins Gespräch kamen. Besonders Sahra Wagenknecht war im Saal der LINKEN dicht umrahmt – auch wenn dieser, wegen des großen Interesses der Delegierten, viel zu klein war – ein gutes Zeichen!
Die Delegierten empfingen Vertreter der in der Messehalle 4 untergebrachten 1900 Flüchtlinge, übergaben eine Spende von 10.000 Euro zur Verbesserung der hygienischen Bedingungen und mehrere Kisten mit Kinderbüchern, für die vielen Kinder in der Halle.
Kategorien: Arbeitsgemeinschaften
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