05. October 2018 Reinhold Gläß

Buchrezension - Petra Köpping: "Integriert doch erst mal uns! Eine Streitschrift für den Osten."

Es kommt ja nicht so häufig vor, dass eine aktive Politikerin ein Buch zu einem unmittelbar aktuellen Themenkomplex verfasst. Die sächsische Ministerin für Integration und Gleichstellung (mit SPD-Parteibuch) hat diesen Versuch unternommen, und schon allein dafür gebührt ihr Respekt.

Das um so mehr, als das Problem DDR-Vergangenheit und –prägung ganzer Generationen in der veröffentlichten Meinung grundsätzlich und durchgängig mit negativen Vorzeichen (um es freundlich auszudrücken) thematisiert wird.

Einfachste Lösung – Ursache für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Sachsen ist DDR

Anlaß für die Entstehung der Schrift ist freilich die derzeit im Raum stehende These, die Ostdeutschen verhielten sich ganz besonders distanziert zu Politik, Demokratie und Medien, was letztlich seinen Ausdruck auch in stärker als im Westen ausgeprägter "Fremdenfeindlichkeit" und "Rassismus" führte, was natürlich vor allem in der DDR-Sozialisation seine Ursache hätte.

Tatsächliche Ursache für Rassismus und Fremdenfeindlichkeit in Sachsen ist Nachwendezeit

Köpping setzt sich mit dieser These auseinander und versucht nachzuweisen, dass vor allem die sozioökonomischen Bedingungen und die Erfahrungen der Ostdeutschen in der Nachwendezeit ursächlich für die gegenwärtig zu beobachtenden Erscheinungen in etlichen Ost-Regionen sind (Pegida, AfD-Wahlergebnisse, Chemnitz…).
Freilich, bei der Beschreibung der Situation der Ostdeutschen in dieser Periode  unterlaufen der Autorin methodische Fehler, die möglicherweise in der Richtung ihrer eingeschlagenen politischen Laufbahn begründet liegen.

Wenn z. B. davon gesprochen wird, dass die Ostdeutschen zu jener Zeit vor allem "… (zu Recht) Angst vor "SED- und Stasi- Seilschaften"  (hatten)  und sich zugleich von westdeutschen Betrügern und Glücksrittern über den Tisch ziehen lassen (haben)" (S. 32), dann kann man sich als betroffener Zeitzeuge bezüglich des ersten Teils dieser Aussage nur verwundert die Augen reiben. Hier könnte – mangels eigener Beobachtungen - als Quelle die Bild-Zeitung oder die Super-Illu zur Verfügung gestanden haben.
Auch wiederholte Verweise auf "SED-Kader" oder „die "Bonzen im Politbüro" wirken schon von der Diktion her aus der Feder einer Mitte 1989 (!) aus der SED ausgetretenen DDR-Bürgermeisterin auf den Rezensenten nicht besonders überzeugend.

Gute Beschreibung der Gefühlslage der Ostdeutschen

Ein Verdienst des Buches besteht aber zweifellos darin, dass die Autorin sehr differenziert die Gefühlslagen, vielgestaltigen Benachteiligungen, Verletzungen, enttäuschten Hoffnungen und die Resignation vieler Ostdeutscher beschreibt. Das hat man in dieser umfassenden Form noch kaum irgendwo gelesen. Allerdings bleibt die Verfasserin hier weitgehend an der Oberfläche, eben bei der Beschreibung der beobachteten Erscheinungen, stehen. Eine tiefgründigere Untersuchung der Ursachen dieser Faktenlage, die man sich dringend gewünscht hätte, bleibt sie uns schuldig. Sie muß es uns auch schuldig bleiben, weil sie sich bei ihrem Ansatz nicht wirklich konsequent vom herrschenden Konsens der Eliten, vom Zeitgeist, zu lösen vermag.  
Gerade hier hätte man sich, fast 30 Jahre nach der deutschen Einheit,  eine klarere Analyse  mit einer darauf beruhenden Positionierung gewünscht. Das um so mehr, als ein Gegenentwurf zu den (bezahlten) professionalisierten (Auftrags-) Forschungsprojekten zu diesem Themenkomplex  ("Aufarbeitung der SED-Diktatur…" in verschiedenen Spielarten), die schon in  der Bezeichnung der Projekte  das Ergebnis vorwegnehmen und von daher eher einen ideologischen als einen wissenschaftlichen  Ansatz verfolgen, dringend an der Zeit wäre. 

Köpping bietet Lösungsvorschläge

Ungeachtet dessen ist es Köpping hoch anzurechnen, dass sie sich um Lösungsvorschläge der von ihr als gravierend erkannten Probleme bemüht. Dazu gehören

 

  • gegenseitiges Zuhören von Ost- und Westdeutschen,
  • ein Bündnis von Ost und West,
  • eine ehrliche Aufarbeitung der Treuhand-Geschichte,
  • " Reparieren, was noch irgend geht" (Einrichten eines "Gerechtigkeitsfonds", Erhöhung des Anteils Ostdeutscher in Spitzenpositionen von Politik und Wirtschaft) u. a..

So gut gemeint diese Vorschläge auch sind, sie wirken etwas aus der Zeit gefallen (die Ursachen der Verwerfungen liegen ja fast 30 Jahre, in denen sich diesbezüglich wenig getan hat, zurück) und nicht sehr realistisch bezüglich ihrer Umsetzung. Das hat zum Einen damit zu tun, dass die "Ostdeutschen" lange keine homogene Gruppe mit mehr oder weniger einheitlicher Interessenlage mehr sind. Die mannigfachen Differenzierungs- und vor allem Individualisierungsprozesse, die Köpping an anderer Stelle durchaus auch sieht, werden hierbei völlig ignoriert. Zum Anderen wird das Ost-West –Thema gerade in jüngerer Zeit durch andere Themen (vor allem das Migrationsthema) im öffentlichen Diskurs ziemlich vollständig überlagert.

Umfassenden Befund der Stimmungslage in der Bevölkerung

Unbestrittenes  Verdienst Köppings bleibt es aber, dass sich die  Ministerin (in Sachsen!) tatsächlich intensiv mit den Menschen auf der Straße unterhält, nach keiner Seite  Berührungsängste erkennen lässt und von daher auch zu einem umfassenden Befund der Stimmungslage in der Bevölkerung kommt, wie er sich im rezensierten Buch schließlich wiederfindet. Deshalb, und weil sich die Autorin letztlich als überzeugende Anwältin für den Osten und seine Interessen mit diskussionswürdigenden Vorschlägen zu Wort meldet, wird das Buch  als lesenswert empfohlen.

Das Buch finden Sie bei:

 

Ch. Links Verlag,

ISBN 978-3-96289

 

 

Kategorien: Arbeitsgemeinschaften

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