01. June 2016 Kathrin Kagelmann

Eine durchsichtige Scharade

Kolumne von Kathrin Kagelmann zur Anti-Kohle-Demo am 14. Mai in Welzow.

Was da gestern im Landtag sein vorläufiges Ende fand, war Teil eines gut eingerührten PR-Coups der Kohlelobby. Die hatte nach dem Verkauf der Braunkohlesparte von Vattenfall nach einer Chance gesucht, ihr ramponiertes Image in der Region wieder aufzuhübschen. Und hat sie gefunden in den Pfingstprotesten der Klimaschutzbewegung. Die übrigens sind nicht neu, finden seit Jahren in den Kohlerevieren statt, werden ordentlich öffentlich angekündigt. Selbst Blockaden oder Besetzungen als durchaus umstrittene Instrumente des zivilen Ungehorsams werden bekannt gemacht, u.a. damit sich Energieversorger darauf einstellen können. Was die auch tun – das Kraftwerk Schwarze Pumpe war vorsorglich auf 20 % seiner Leistung heruntergefahren worden. Die Organisatoren von „Ende Gelände“ und Campact stimmten ein Sicherheitskonzept ab mit Land, Kommunen, Unternehmen, Polizei und Justiz. Die Organisatoren schulen sogar die Demonstranten, damit niemand zu Schaden kommt – weder Protestler noch Beschäftigte! Diesen Grundkonsens hat „Ende Gelände“ auch aufgeschrieben und ebenfalls veröffentlicht. Er war u.a. Grundlage meiner Unterstützung für die Pfingstproteste – auch wenn ich mich für eine wesentlich undramatischere Protestform entschieden habe, einer stinknormalen Demonstration von Welzow nach dem abbaubedrohten Proschim. Diese Demo verlief absolut friedlich, fröhlich und war bunt – auch parteipolitisch. Soweit so normal?

Jetzt startete der PR-Coup: Bereits Samstag liefen die Medien-Ticker über von Bildern über Klimaaktivisten im Tagebau, auf Förderbändern, auf Gleisen, über Zäune kletternd. Von „meiner“ friedlichen Demo kam dagegen nichts. Die völlig entspannt agierende Polizei begleitete die Aktivisten, hinderte lange niemanden an nichts – was fast irritierend wirkte. Bis Vattenfall intervenierte und die Räumung verlangte. Nun wurde eingegriffen und Klimaaktivisten festgesetzt, vor dem Werkstor eingekesselt. Dann flogen die ersten Böller auf Aktivisten – aus einer spontanen Gegendemonstration von Kohlebefürwortern vor Schwarze Pumpe. Nazis hatten sich offensichtlich unter die Gegendemonstranten gemischt, wie sie bereits in der Nacht zuvor und tagsüber Gruppen von Klimacampteilnehmern bedroht und angegriffen hatten. Die Polizei schritt ein. Auch darüber erfährt der Leser der regionalen Zeitungen in Brandenburg und Sachsen später wenn überhaupt nur am Rande. Am Sonntag wird das Klimacamp beendet einschließlich der Blockaden.

Am Montag erscheint ein großformatiger Artikel eines betroffen dreinblickenden leitenden Vattenfall-Mitarbeiters, der über verängstigte Bergleute und einen entgleisten Zug berichtete. Warum, wie nach Blockaden zu erwarten wäre, keine strengen Kontrollen an den Strecken um Tagebau und Werk erfolgt sind, bleibt sein Geheimnis. Zeitgleich stapeln sich Pressemitteilungen von Koalitionspolitikern, die scharfe Angriffe gegen Grüne und LINKE fahren. Die ersten Positionspapiere von Vereinen und Wirtschaftsorganisationen, später von Vattenfall und IGBCEverlangen nach Distanzierungen von Linken und Grünen. Am Dienstag ein weiterer Großaufmacher in der SZ: Eine junge Baggerfahrerin im Tagebau Nochten. Und schließlich der vorläufige politische Abschluss der Kampagne am Mittwoch im Plenum: Die Koalitionsabgeordneten Rohwer, Heidan, Hirche, Krauss (alle CDU) und Baum (SPD) – keiner von ihnen war am Wochenende auch nur in der Nähe der Proteste – überbieten sich in Schuldzuweisungen und sprachlichen Entgleisungen (u.a. Krawallbrüder, Terroristen) gegen linke und grüne Landtagsabgeordnete.

Die klimapolitische Dimension der Proteste wird in regionalen Medien nicht einmal angerissen – ein Jahr nach dem 5. Weltklimabericht, ein halbes nach der Klimakonferenz in Paris! Die Unterstützung starker Teile der örtlichen CDU im rot-roten Brandenburg für die Pfingstproteste wird in Sachsen besser verschwiegen. Dass der Bund die Mit-Finanzierung von Folgekosten der Braunkohleförderung absenken will, dass der Freistaat nicht gedenkt, die kommunalen Lasten aus Gewerbesteuerrückforderungen oder Trinkwasserversorgung in der Lausitz mitzutragen – kein Wort dazu. Auch, dass sich Vattenfall vom Acker macht und der Heuschrecke EPH das Feld überlässt, ist jetzt kein Thema mehr.

In Zusammenhängen zu denken, fällt schwer angesichts einer medialen Aufregungsmaschinerie. Da gehen Inhalte verloren oder werden bewusst weggelassen. Eine Frischzellenkur für ein sterbendes Energiesystem, das mit seinen noch immer starken Verbindungen in Politik und Medien und noch mehr Geld öffentliche Meinung geschickt steuert.

Hätte dann der Protest besser nicht stattfinden sollen? Und sind Blockaden und Werksbesetzungen wirklich legitim?

Solange keine Gewalt gegen Menschen ausgeübt wird: Ja.

Hier geht es um mehr als einlausitzer Problem. Es geht ums Überleben unseres Planeten, weil der Klimakiller CO2, der durch die Verbrennung von Kohle freigesetzt wird,die Erde kollabieren lässt. Und bevor das passiert, ernten unsere Kinder und Kindeskinder die Folgen unseres Egoismus: Naturkatastrophen und Klimaflüchtlinge. Kleiner ist es leider nicht zu haben. Aber dann doch besser ohne Schienenblockaden und Werksbesetzungen?

„Revolution in Deutschland? Das wird nie etwas. Wenn diese Deutschen einen Bahnhof stürmen wollen, kaufen die sich noch eine Bahnsteigkarte!“ Das soll Lenin gesagt haben. Wären die Menschen 1989 der CDU-Definition von legitimen Protest gefolgt, stände vermutlich noch die Mauer in Berlin. In Frankreich hat man offenbar wenig Hemmung, zur Verhinderung unsozialer Arbeitsmarktgesetze nach dem Beispiel von Hartz IV auch mal Atomkraftwerke oder Autobahnen zu blockieren.Ziviler Ungehorsam steht am Beginn jeden demokratischen Gesellschaftssystems und gehört zu einer funktionierenden Demokratie. Wenn es um existentielle oder essentielle Fragen geht, muss der Druck auf Politik und Wirtschaft erhöht werden können, denn es existiert auch im demokratischen Staat immer noch ein enormes Machtgefälle zwischen der Bevölkerung und dem organisierten Staat bzw. der Wirtschaft. In Sachsen hat es ziviler Ungehorsam dagegen schwer: 2009 blockierten die sächsischen Bäuerinnen und Bauern beispielsweise mit ihren Traktoren die Zufahrt zur Molkerei Leppersdorf.  Es ging ums Überleben vieler Höfe! Sie wurden zu drastischen Strafen verdonnert wegen Verstoßes gegen das Kartellrecht!Jahrelang blockierten Menschen die Marschroute von Nazis, die am 13. Februar durch Dresden marschierten. Es ging um das gemeinsame antifaschistische Erbe.Viele Antifaschistinnen und Antifaschisten wurden danach verklagt und mit Geldbußen belangt.

Auch das ist Ergebnis einer 25jährigen schwarzen quasi Alleinherrschaft. Deshalb: Ich lasse der Koalition diese undifferenzierte Kriminalisierung der gesamten Umweltbewegung nicht durchgehen, denn wenn Unvernunft zu Politik wird, wird Widerstand zur Pflicht!

Kategorien: Arbeitsgemeinschaften

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